Houssein ben Ibrik wurde um 1891 in der damaligen französischen Kolonie Marokko geboren und starb fast ein Jahrhundert später in Frankreich. Was über ihn bekannt ist, klingt wie aus einem Roman entnommen: Als Mitglied einer Nomadenfamilie hatte Houssein mitzuhelfen, diese gegen Wüstenräuber zu verteidigen. Er wurde Aktobat und Löwenbändiger und verliebt sich in die deutsche Gertrude Appel, die aus ihrem Elternhaus ausgerissen war, um mit dem Zirkus zu reisen. Als das Dritte Reich zunehmend an Macht in Europa gewann, traten er und seine junge Partnerin Gertrude mit dem legendären deutschen Sarrasani-Zirkus auf – er als Untermann in einer arabischen Springertruppe, sie als Violinistin im Zirkusorchester. Ihre beiden Kinder, Ali und Fatima, wuchsen im Schatten der am 15. September 1935 verabschiedeten Nürnberger (Rassen)Gesetze auf, die zur „Reinhaltung des deutschen Blutes“ Verbindungen mit nichtarischen Personen verboten.
Houssein ben Ibrik und Gertrude, undatiert, wahrscheinlich 1935, Privatarchiv von Paula Lee
1941 wurde Houssein von nationalsozialistischen Behörden in Deutschland verhaftet. Der konkrete Anlass hierfür ist unbekannt. Gertrude, die keine Informationen über Housseins Aufenthaltsort hatte, kehrte mit den beiden Kindern, in ihre Heimatstadt Zittau in Sachsen zurück. Dort begann sie eine Affäre mit einem SS-Offizier, in der Hoffnung mehr über das Schicksal ihres Partners in Erfahrung zu bringen. Sie erfuhr über ihren Kontakt, dass Houssein nach Frankreich gebracht worden war, wo er in Schauwettkämpfen gegen NS-Offizieren antreten musste. Seine arrangierten Niederlagen im Ring sollten die Überlegenheit der arischen Rasse bestätigen. Da Houssein als internationaler Zirkuskünstler mehrere Fremdsprachen beherrschte, musste er zudem für nationalsozialistische Dienststellen ausländische Radiosender abhören und deren Programminhalte ins Deutsche übersetzen.
Unterdessen gelang es Gertrude Reisepässe zu besorgen, die es ihrer kleinen Familie erlaubte, von Deutschland in das besetzte Frankreich zu gelangen. Auf dieser Reise wurde der Zug von der französischen Résistance angegriffen. Gertrude und ihre Kinder überlebten den Angriff unversehrt, setzten die Reise nach Bordeaux fort und fanden tatsächlich Houssein. Während Gertrude schon bald mit den Kindern nach Deutschland zurückzukehren hatte, musste Houssein zurückbleiben.
In den letzten Kriegstagen starb Gertrude bei der Bombardierung von Zittau. Aus Fatima und Ali, damals 7 und 9 Jahre alt, wurden Weisenkinder. Vom Internationalen Roten Kreuz wurden die Kinder, vom Schrecken des Krieges traumatisiert, nach Frankreich gebracht. Es sollte Jahre dauern bis sie ihren Vater wiederfanden. Dieser hatte aufgehört in der Manege zu arbeiten, da er nach dem Krieg keine arabischen Springertruppen mehr in Europa fand. Houssein erhielt stattdessen eine Anstellung als Mechaniker. Er starb 1980.
Anmerkung: Der Enkel von Ben Ibrik, Pascal Benbrik, ist ein Dokumentarfilmer, der Filmaufnahmen von seinen Vater Ali gemacht hatte als dieser über seine Kindheit im Zirkus sprach. Ben Ibriks Urenkelin, Laurence Benbrik, hat von französischen Zeitzeugen Erinnerungen an die Familie filmisch dokumentiert. Die Autorin dieses Artikels, Paula Lee, ist eine Historikerin, die zurzeit einen Roman mit dem Titel „The Madwoman’s Son“ fertigstellt. Die Erzählung basiert auf der Lebensgeschichte von Houssein ben Ibrik und Gertrude Appel.
Autor: Paula Lee
Quellen:
Ali Benbrik, untitled, unpublished memoir; Nance, Susan: How the Arabian Nights Inspired the American Dream, 1790-1935, University of North Carolina Press, 2009; Pape, Billy: “What’s Become of Arabian Tumblers?” Billboard (Nov. 29, 1947): 72.
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