Rosa Bouglione, die bis heute in Paris lebt, wurde 1910 als Rosalie van Been im belgischen Ixelles geboren. Ihre Eltern besaßen einen kleinen Zirkus mit Menagerie, der durch die Niederlande, Belgien und Frankreich tourte. Im Familienzirkus trat sie als Tänzerin inmitten einer Löwengruppe auf. 1928 heiratete sie Joseph Bouglione (1904-1987), der zur dritten Generation einer Familie von Tierbändigern gehörte, die eine Wandermenagerie besaßen und 1924 ins Zirkusgeschäft eingestiegen waren – was sie schließlich zur bedeutendsten und wohlhabendsten Zirkusfamilie Frankreichs machen sollte. Diese Familie, deren Name ursprünglich Buglione lautete, stammte aus Piemont und reiste im späten 19. Jahrhundert zwischen Italien und Frankreich. 1926 produzierten Sampion Bouglione und seine Söhne, Alexandre, Joseph, Firmin und Sampion, Jr. eine Imitation des „Buffalo-Bill-Zirkus“, der für einige Jahre mit beachtlichem Erfolg durch Frankreich tourte und den Grundstein ihres Vermögens legte. 1934 erwarben sie den legendären, 1852 errichteten Cirque d’Hiver (Winterzirkus) in Paris, der bis heute unter der Leitung der Familie steht. Laut Rosa Bouglione durfte der Zirkus Bouglione auch während der deutschen Okkupation reisen, obwohl die Leitung des Cirque d’Hiver zeitweilig in die Hände von Paula Busch gelegt wurde. Diese war die Besitzerin des berühmten Berliner Zirkus Busch, den Hitlers Architekt Albert Speer bei den Vorbereitungen für die Umgestaltung der deutschen Hauptstadt in die „Welthauptstadt Germania“ (einschließlich eines Neubaus für den Zirkus Busch) abreißen ließ, ohne dass das Bauprojekt jemals realisiert worden wäre.
Als Sinti standen die Bougliones der nationalsozialistischen Besetzung Frankreichs ablehnend gegenüber, wurden von den Deutschen aber zu keiner Zeit als „Zigeuner“ identifiziert. Der italienische Name trug vermutlich dazu bei, die ethnischen Wurzeln der Familie zu verschleiern. Dennoch wagten es die Bougliones, die deutschen Propagandaaufträge zu hintergehen, indem sie ihren Regisseur Geo Sandry Zirkuspantomimen wie „Robin Hood“ produzieren ließen, in welche dieser politische Anspielungen einbaute (meist gespielt von den Clowns Alex und Zavatta). Deswegen gerieten Rosas Mann Joseph und seine Brüder mehrfach in Gefahr, verhaftet zu werden. Aber das war noch nicht alles: Die Bougliones versteckten auch jüdische Künstler im Cirque d’Hiver, wie die Familie Pauwels. Gegen Ende der deutschen Besatzung benutzte die französische Résistance den Zirkus als Waffenlager.
Im Nachkriegsfrankreich konnte der Zirkus an die früheren Erfolge anknüpfen und ist bis heute in Familienbesitz. Die Leitung des Unternehmens obliegt gegenwärtig den Enkeln von Rosa und Joseph. Rosa Bouglione, deren Lebensspanne sich über mehr als ein Jahrhundert erstreckt, wird heute als die Grande Dame der französischen Zirkuswelt verehrt
Autor: Ilsen About, redigiert von Dominique Jando
Quellen: Bouglione, Firmin, Le cirque est mon royaume. Paris 1968; Bouglione, Rosa, Un mariage dans la cage aux lions. La grande saga du cirque Bouglione. Paris 2011; Aiolfi, Marjorie; Bouglione, Louis Sampion: Le Cirque d’hiver. Paris 2002.
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