Margarita Ivanova (*1923), vom sowjetischen Zirkus an die Front

Der Autor widmet die vorliegende Lebensbeschreibung dem Andenken seines im November 2017 plötzlich und viel zu früh verstorbenen russischen Kollegen Nikolaj Bessonov.

                              Ivanova in Uniform (Privatarchiv Nikolaj Bessonov)

Margarita Ivanova war die Tochter eines russischen Kavalleristen und einer Moskauer Romni. Ihre Jugend verlief unter düsteren Vorzeichen, denn ihr Vater wurde in den 1930er Jahren Opfer der stalinistischen „Säuberungen“ und verstarb im Lager Solovki. Die übrige Familie musste ihre Wohnung räumen und in ein Wohnheim ziehen. Nach vergeblichen Bewerbungen um eine Schauspielausbildung schloss sich Ivanova dem Dal’skij-„Zigeunerensemble“ als Tänzerin an. 1939 wechselte sie zum frisch eingerichteten „Zigeunerzirkuskollektiv“ und ließ sich zur Artistin ausbilden. Das Programm des Ensembles, dessen Mitglieder sich mehrheitlich aus Roma-Artisten zusammensetzten, war eine Mischung aus romantisierender „Zigeunerfolklore“ und anspruchsvoller Artistik. Der Schwerpunkt lag auf musikalischen Komödien und Dramen mit Tanz, Gesang und akrobatischen Einlagen. Neben Voltigier-Übungen wurde auch eine Hundedressurnummer präsentiert. Höhepunkt jeder Vorstellung war jedoch eine Bärennummer, wobei der Bär nicht nur tanzte und mit dem Clown „kämpfte“, sondern auch noch wahrsagen konnte.

 Vorstellung des „Zigeunerzirkuskollektivs“, vor 1941 (Privatarchiv Nikolaj Bessonov)

Am 22. Juni 1941, dem Tag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, befand sich das Ensemble gerade auf einem Gastspiel in Smolensk. Die Zirkustruppe kehrte in aller Eile nach Moskau zurück, wurde dort jedoch – vorübergehend – aufgelöst. Als sich der Feind im Herbst 1941 der russischen Hauptstadt näherte, meldete sich Ivanova als Freiwillige zur Roten Armee. Nach kurzer Ausbildung wurde sie zu einer Flak-Einheit in das Gefechtsgebiet entsandt. Die ersten Monate an der Front waren von Hunger und Kälte geprägt, da die Versorgung der Einheit immer wieder zusammenbrach. Als eines Tages eine deutsche Fliegerbombe neben Ivanova detonierte, erlitt sie eine schwere Gehirnerschütterung und verlor vorübergehend ihr Gehör.

Nach ihrer Genesung wurde Margarita Ivanova 1943 in das rückwärtige Gebiet verlegt und beim Regiment als Telefonistin eingesetzt. Nach dem Krieg erhielt sie den sowjetischen Orden „Vaterländischer Krieg zweiter Klasse“. Aufgrund der Nachwirkungen ihrer Kriegsverletzung konnte sie allerdings ihre Karriere als Zirkusartistin nicht fortsetzen. Sie arbeitete fortan als Sekretärin bei verschiedenen militärischen Behörden.

Autor: Martin Holler

Quellen:

Bessonov, Nikolaj: Cyganskoe cirkovoe iskusstvo. In: Institutul Patrimoniului Cultural al Academia de Ştiinţe a Moldovei (Hrsg.): Revistei de Etnologie şi Culturologie, vol. XI-XII, Chisinau 2012, S. 140-152; Bessonov, Nikolaj: Cyganskaja tragedija 1941-1945. Fakty, dokumenty, vospominanija. Tom 2: Vooružennyj otpor. Sankt Petersburg 2010; Švydkoj, Michail E. (Hrsg.): Cirkovoe iskusstvo Rossii. Ėnciklopedija. Moskau 2000.

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