Gnugo De Bar (1940-2015) – Geboren in einem Lager; die Internierung der italienischen Zirkusfamilie De Bar während des Zweiten Weltkriegs

Gnugo (Giacomo in den offiziellen Papieren, weil Gnugo ein Sinti-Name war) war der Enkel von Giovanni (Jean) De Barre, einem französischen Sinto, und Ida Truzzi, einer aus einer alten italienischen Zirkusfamilie stammenden Künstlerin. Der Vaters hieß Armando De Bar (genannt Ciao), der als Akrobat arbeitete. Die Mutter war Albertina Innocenti (genannt Gonia), die aus einer Schaustellerfamilie stammte.

In den 1920er Jahren traten die Großeltern mit hauptsächlich akrobatischen Nummern in den legendären Zirkussen von Teta Togni und Paolo Orfei auf. In den 30er Jahren reiste Jean De Bar (der französische Familienname wurde italisiert) mit einer eigenen Zirkusshow durch Norditalien, in der alle seine 10 Kinder mitwirkten. Wenige Monate nach Eintritt Italiens in den Krieg am 10. Juni endete das reisende Zirkusleben der Familie De Bar. Die italienischen Sicherheitsbehörden nutzen den Kriegseintritt dazu, die Internierung aller für die Sicherheit des Staates als gefährliche örtliche Personen anzuordnen: Antifaschisten, ausländerfeindliche Länder und „Zigeuner“ ohne festen Wohnsitz. Von dieser Massnahme waren vor allem italienische Sinti betroffen, die oft ambulanten Handwerkstätigkeiten nachgingen,  aber auch als Straßenmusiker oder Artisten versuchen, ihren Lebenshalt zu verdienen. Die Internierung der Zirkusfamilie De Bar erfolgte am 11. November 1940. Im Lager Prignano della Secchia wurde Gnugo am 4. Dezember 1940 geboren.

Die Forschung hat für die italienische Halbinsel bislang 20 Internierungsorte und 3 Internierungslager für sogenannte „Zigeuner“ identifizieren können. Im Lager Prignano della Secchia waren zwischen 1940 und 1943 etwa 80 Personen untergebracht. Die Lagerbedingungen waren harsch. Den Insassen wurde nur unzureichend Nahrung zugeteilt. In den kälteren Monaten fehlte Holz zum Aufwärmen. Einige Internierte Gründe von der Lagerleitung die Erlaubnis, dadurch die Dorfbewohner aufzutreten, um etwas Essen zu erreichen. Im September 1943 nutzte die Familie De Bar das Machtvakuum, das nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes in Rom und dem Waffenstillstand zwischen einer neuen italienischen Regierung und den Alliierten (8. September 1943) entstanden war, um das Lager Prignano della Secchia zu verlassen. Um nicht die deutschen Sicherheitsbehörden und ihren italienischen Helfern in die Hände zu fallen, musste sich die Familie noch bis 1945 versteckt halten. Zwei männliche weitere schlossen sich dem Widerstand an und führenen in der lombardischen Provinz Mantua, das noch lange unter der Kontrolle der Wehrmacht und italienisch-faschistischer Hilfstruppen stand, zwischen 1944 und 1945 Sabotageaktionen aus.

Im Sommer 1945 begann die Familie De Bar wieder mit ihrer Zirkushow durch die italienischen Länder zu ziehen. Gnugo hatte in der Clownsshow die Rolle des dummen August inne. Nachdem der Zirkus den Reisebetrieb 1964 einstellte, legt sich Gnugo ein Karussellgeschäft zu. Die Familiengeschichte schrieb Gnugo in dem Buch „Strada, patria sinta“ [Die Straße der Sinti] nieder, das 1998 erschien.

Am 10. April 2010 nahm er an der feierlichen Einweihung der Gedenktafel für die in Prignano sulla Secchia internierten Sinti teil. Seine Verbundenheit mit der Zirkuswelt brachte er in der Öffentlichkeit stets mit dem Tragen einer im Zirkus üblichen Conférncier-Jacke zum Ausdruck. 

Autorin: Paola Trevisan

Quellen:

De Bar, Gnugo:  Strada, patria sinta. Cento anni di storia nel racconto di un saltimbanco sinto. Florence 1998; Torre, Vladimiro, Relandini Walter et alii:  Storie e vite di sinti dell’Emilia,  Paola Trevisan (Hrsg.). Roma 2005; Trevisan, Paola: «Sinti e circensi: storia di un legame invisibile»:    Alle Radici dell’Europa. Mori, giudei e zingari nei Paesi del Mediterraneo occidentale, Bd. III: secoli XIX-XX,  Felice Gambin (Hrsg.). Florenz 2011, S. 249-273; Trevisan, Paola:    Die Internierung italienischer Sinti in der Provinz Modena während des Faschismus: von der Ethnographie zur Archivforschung  , in  Romani Studies , 2013, Dezemberausgabe, Bd. 23 (2): 139-160.

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